Gönnerinnen-Porträt von Germaine J. F. Seewer: Bürgerin in Uniform

16. September 2020

Germaine J. F. Seewer ist die erste Frau im Rang eines Divisionärs in der Schweizer Armee. Ihre neue Funktion als Kommandant Höhere Kaderausbildung bringt sie wieder näher an ihre Alma Mater zurück.

ETH Zürich Foundation, Gönnerinnen-Porträt von Germaine J. F. Seewer: Bürgerin in Uniform
«Ich fühle mich immer noch mit der ETH Zürich verbunden, die Zeit dort hat mich geprägt.»
© Daniel Winkler
«Ich fühle mich immer noch mit der ETH Zürich verbunden, die Zeit dort hat mich geprägt.»
© Daniel Winkler

Pressetermine mag Germaine J. F. Seewer nicht sonderlich, vor allem wenn sie dabei im Zentrum steht. Doch für die ETH-​Zeitschrift Globe habe sie gerne zugesagt, erklärt sie: «Ich fühle mich immer noch mit der ETH Zürich verbunden, die Zeit dort hat mich geprägt.» Und sie weiss natürlich, dass sie als erste Frau im Rang eines Divisionärs der Schweizer Armee eine Vorbildfunktion hat. Obwohl Frauen heute Zugang zu allen Waffengattungen haben und mit Fanny Chollet die erste Schweizer Kampfjetpilotin einen Medienauftritt zur geplanten Kampfjetbeschaffung hatte, sind Frauen in der Armee nach wie vor Ausnahmeerscheinungen. «Es reicht nicht, wenn wir sie als gleichberechtigte Partnerinnen fördern», erklärt Seewer. «Es braucht auch die Akzeptanz des Umfelds, damit sich mehr junge Frauen für dieses freiwillige Engagement entscheiden.» Dazu gehört auch, dass Frauen wie Germaine Seewer zeigen: Man kann es als Frau bis in die höchsten Ränge der Armee schaffen.

Dabei sieht Seewer das Thema recht nüchtern. Dass mit Viola Amherd nun erstmals eine Frau das Verteidigungsministerium führt, freut sie: «Sie ist in der Bevölkerung sehr beliebt», stellt sie fest. «Aber sie muss die gleichen Aufgaben erfüllen wie ein Mann. Ich sehe da keinen Unterschied.»

Immer wieder Vorreiterin

Seewers Nüchternheit kommt wohl daher, dass sie ihre ganze Berufskarriere in einem männerdominierten Umfeld verbracht hat. Als die Walliserin an der ETH Zürich das Chemiestudium aufnahm, hatte sie keine zehn Kommilitoninnen. Sie mag sich noch gut an die Anfangszeit erinnern: Das alte Chemiegebäude kommt ihr in den Sinn, der steile Hörsaal, aber auch, dass sie eine Weile brauchte, um sich im Hauptgebäude zurechtzufinden.

Seewer ist eine zurückhaltende, unauffällige Person, aber sie muss – wenn man 
ihren Lebenslauf betrachtet – ein gesundes Mass an Hartnäckigkeit und Durchsetzungsvermögen besitzen. Sie gibt im Gespräch nur wenig Persönliches preis und hält sich bewusst zurück. Nur vereinzelt lässt sie durchscheinen, dass es auf ihrem Lebensweg immer wieder Menschen gab, die in wichtigen Momenten ihre Laufbahn beeinflusst haben. Zu ihnen gehört auch ein Lehrer an der Mittelschule in Brig, der die junge Germaine Seewer für die Chemie zu begeistern vermochte. Den Wechsel vom ruhigen Wallis an die ETH habe sie problemlos gemeistert. «Ich war mir bewusst, dass man an der ETH weniger Freiheiten geniesst als an anderen Hochschulen», meint sie schmunzelnd. «Ich hatte mich informiert und wusste, auf was ich mich einliess.»

Über die Strassenseite

Ihr akademischer Weg führte sie zunächst von der Chemie zu den Nutztierwissenschaften. «Mir gefiel, dass ich das Gelernte buchstäblich auf der anderen Strassenseite anwenden konnte», erklärt sie. Damals waren die Chemiker und Nutztierwissenschaftler noch unweit des ETH-​Hauptgebäudes einquartiert, getrennt nur durch eine kleine Quartierstrasse. Seewer untersuchte in ihrer Doktorarbeit, wie sich verschiedene Fütterungen, Rassen und das Geschlecht auf die Fleischqualität bei Schweinen auswirken. Zunächst schien es, dass Seewer eine Forschungslaufbahn einschlagen würde. Sie arbeitete als Postdoc am Research Centre Foulum in Dänemark und danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsanstalt für Nutztiere in Posieux. «Ich habe mich für ein Postdoc in Dänemark entschieden, weil die Dänen im Gegensatz zu den Amerikanern ähnliche Vorstellungen zur Fleischqualität haben wie wir», erläutert sie.

Faszination Mensch

Auch wenn sie heute als höhere Stabsoffizierin in einem ganz anderen Bereich tätig ist, kann sie vieles, was sie damals gelernt hat, immer noch gut gebrauchen.

Die analytische Denkweise, das Wissen, wie wichtig sorgfältiges Quellenstudium ist, ein ausgesprochenes Flair für Zahlen, aber auch das kritische Hinterfragen von Statistiken sind Aspekte, die ihr spontan in den Sinn kommen. Nicht zuletzt habe sie an der ETH auch gelernt, vernetzt zu denken.

Seit Seewer 1998 als Fachlehrer dem Armeenachrichtendienst beitrat, hat sie viele Stationen absolviert. Unter anderem leistete sie als Stabsoffizierin einen Einsatz bei der Swisscoy im Kosovo, war für einige Zeit Militärbeobachterin der Uno in Äthiopien und Eritrea und kommandierte von 2008 bis 2010 – nun als Berufsmilitär – die Führungsunterstützungsschulen der Luftwaffe. Ein grosser Karriereschritt erfolgte 2013, als sie vom Bundesrat zum Brigadier befördert und gleichzeitig Chef Personelles der Armee wurde. Fünf Jahre später übernahm sie als erste Frau das Kommando einer Brigade.

«Mich faszinieren die vielen Menschen», meint sie zur Frage, was sie an ihrem Beruf fasziniere. In der Armee würden sich Menschen aus verschiedenen Landesteilen und unterschiedlichen Gesellschaftsschichten begegnen und gemeinsam eine Aufgabe bewältigen. «Die Westschweizer haben dazu einen schönen Begriff, in dem ich mich wiederfinde: citoyen-​soldat.» Dass sich die Armee immer wieder an neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen anpassen müsse, versteht sich für Seewer von selbst. «Die heutigen 20-​Jährigen denken anders als wir damals als 20-​Jährige», meint sie. «Aber auch wir hatten andere Auffassungen als unsere Vorgänger.»

Ein spezielles Frühjahr

Seit Anfang Jahr ist Seewer nun für die höhere Kaderausbildung der Armee verantwortlich. «Nun bin ich wieder zurück in der Ausbildung», freut sie sich. Dabei wird sie künftig wieder mehr mit der ETH zu tun haben, spielt die Militärakademie an der ETH (MILAK) doch eine wichtige Rolle in der Ausbildung der Berufsoffiziere. «Eigentlich hätte ich inzwischen einen Antrittsbesuch bei ETH-​Präsident Joël Mesot und bei der Rektorin Sarah Springman absolvieren sollen», stellt sie fest. «Doch wegen der besonderen Umstände mussten wir das verschieben.»

Tatsächlich sah sich die Armee in der Corona-​Krise unvermittelt mit einer speziellen Situation konfrontiert. «Für einmal standen zum Beispiel mit den Sanitätsformationen Truppengattungen im Mittelpunkt, die sonst nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen», erklärt Seewer. Und ja, die Armee habe ihre Aufgabe gut bewältigt, sagt sie und verweist auch auf die positiven Rückmeldungen aus dem Gesundheitswesen, der Politik und der Bevölkerung. Obwohl sie selbst nicht direkt in den Corona-​Einsatz der Armee involviert war, brauchte es auch in ihrem Zuständigkeitsbereich einen Sondereffort. «Wir mussten zügig neue Ausbildungsformate einführen, weil der übliche Präsenzunterricht nicht mehr möglich war», erklärt sie.

Die Wurzeln nicht vergessen

Den Kontakt zur ETH habe sie nie ganz verloren, hält sie fest. «Als Mitglied der Alumni-​Vereinigung blieb ich immer in Kontakt mit der Hochschule. Und da die Diplomfeiern und Jahrestagungen der MILAK im ETH-​Hauptgebäude stattfinden, kam ich zwischendurch auch an meine Alma Mater zurück.» Als Alumna unterstützt sie über die ETH Foundation das Excellence Scholarship & Opportunity Programme, mit dem hervorragende Masterstudierende mit einem Leistungsstipendium gefördert werden. «Ich bin stolz auf meine Bildungsinstitution und gebe gerne etwas zurück», hält Seewer fest. Sie freue sich, dass die ETH in den Rankings so gut abschneide, und es sei klar, dass sich die Hochschule international ausrichten müsse, wenn sie erfolgreich sein wolle. «Dennoch wünsche ich mir, dass die ETH als eidgenössische Hochschule ihre Wurzeln nicht vergisst. Sie ist für unser Land eine besondere Institution, zu der wir Sorge tragen müssen.»

 

Dieses Portrait erschien im Globe-Magazin der ETH Zürich vom September 2020. 

«Ich bin stolz auf meine Bildungsinstitution und gebe gerne etwas zurück.»

Germaine J. F. Seewer