Das Netto-Null-Ziel vor Augen

18. September 2021

ETH-Professor Anthony Patt und sein Team analysieren, wie eine nachhaltige Energieversorgung, technologische Innovationen und der individuelle Lebensstil zur Eliminierung von Treibhausgasemissionen beitragen – und welche politischen Ansätze beschleunigend wirken. 

ETH Zürich Foundation, Das Netto-Null-Ziel vor Augen
© Das Bild – Judith Stadler und André Uster
© Das Bild – Judith Stadler und André Uster

Mit der Gruppe Klimaschutz und -anpassung untersuchen Sie mögliche Strategien zur Bewältigung des Klimawandels. Wie gehen Sie vor? 

ANTHONY PATT – Einerseits simulieren wir verschiedene erneuerbare Energiesysteme mit hoher zeitlicher und geografischer Genauigkeit. So sehen wir, welche Mengen die verschiedenen Quellen produzieren könnten. Darauf aufbauend untersuchen wir beispielsweise, wie viel Speicherkapazität benötigt würde, wenn die Schweiz so wenig Energie wie möglich importieren wollte. Andererseits arbeiten wir mit Befragungen der Bevölkerung. Ein Beispiel: Um die Klimaziele zu erreichen, wird eine Stärkung der Elektromobilität nötig sein. Wir fragen nach, unter welchen Voraussetzungen  Menschen zum Kauf eines E-Autos bereit wären. Gemäss Umfrage ist eines der  grössten Bedürfnisse, das Auto zu Hause laden zu können. Solche Erkenntnisse helfen, politische Entscheide an reale Bedürfnisse anzupassen und Rahmenbedingungen zu optimieren.  

Sie waren ursprünglich als Anwalt und Berater für Umweltplanung tätig. Was bewog Sie zum Wechsel in die Wissenschaft?

Mir wurde Mitte der 90er-Jahre klar, dass der Klimawandel eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit sein wird. Ich liebe Schnee und Wintersport und wollte dazu beitragen, den Winter für die kommenden Generationen zu erhalten. Ich war über-zeugt, dass wir vollständig von fossiler Energie wegkommen müssen, und die damaligen Lösungsansätze schienen mir ungenügend. Ich doktorierte in Public Policy, was zu meinem Hintergrund in Recht und Landschaftsplanung passte. Die Forschung bietet mir die Chance, mich vertieft mit Fragestellungen zum Klimawandel und der öffentlichen Wahrnehmung auseinanderzusetzen.

In einem aktuellen Forschungsprojekt analysieren Sie, wie die Schweiz Treibhausgasemissionen möglichst rasch deutlich reduzieren kann. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse? 

Um auf das Netto-Null-Ziel zu kommen, müssen wir auf erneuerbare Energien und klimaneutrale Technologien umstellen, sei dies in der Luftfahrt, der Industrie oder beim privaten Verbrauch. Für die Frage nach dem «Wie» gibt es mehrere Wege, die stark von politischen Entscheiden abhängen. Sollen Emissionen der Viehwirtschaft durch weniger Konsum gesenkt oder durch neue Technologien wie «direct air capture» kompensiert werden? Die Entfernung des generierten CO2 würde nach unseren Berechnungen eine Preiserhöhung bei Milch- und Fleischprodukten von  circa fünf bis zehn Prozent bedeuten.

 

Da Nutztiere ein traditionelles Element der Schweizer Kultur sind, könnte eine Kompensation dennoch einfacher zu realisieren sein als eine Konsumreduktion. Oder: Soll die Energieproduktion vollständig in der Schweiz liegen? Dann bräuchten wir grosse Speicherkapazitäten, denn es gibt Tage ohne Sonne und Wind in der Schweiz. Die Speicherung wäre jedoch bedeutend teurer als der Import.

Politische Rahmenbedingungen sind das eine. Müssen wir zusätzlich unseren Lebensstil ändern, um den Klimawandel zu stoppen?

Aus meiner Sicht spricht nichts gegen bewussteren Konsum. Grosse Einschränkungen sind jedoch keine langfristige Lösung, wie auch die Pandemie zeigte. Die Emissionen sanken zu Beginn sehr stark, stiegen nach den Lockerungen jedoch schnell wieder an. Wir brauchen Lösungen, die ohne persönlichen Verzicht funktionieren. Modelle zeigen, dass bei geeigneten politischen Rahmenbedingungen und Förderinstrumenten eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energie ohne hohe Mehrkosten möglich ist. Ein Beispiel ist die Luftfahrt: Vor fünf Jahren war Verzicht die einzige Möglichkeit zur Emissionsreduktion. Heute gibt es Technologien für CO2-neutralen Treibstoff, wie die des ETH-Spin-offs Synhelion. Würde dessen Herstellung kurzfristig subventioniert und nach und nach ein Teil des Kerosins ersetzt, stiege die Nachfrage und die Produktion könnte ausgebaut werden. Die Skalierung würde die Herstellungskosten senken und Jahr für Jahr könnte mehr nachhaltiger Treibstoff eingesetzt werden, ohne dass die Ticketpreise spürbar steigen würden.

Ihre Forschung wird von philanthropisch engagierten Personen unterstützt. Wie trägt Philanthropie dazu bei, Lösungen für den Klimawandel zu finden?

Private Donationen können vielfältige Forschungsfragen anstossen und Antworten beschleunigen, wie hier auf die Frage nach dem Nutzen von importierter Energie. So wird das Feld von möglichen Lösungsansätzen breiter.

Wie schauen Sie in die Zukunft?

Ich bin viel optimistischer geworden. Dass wir es in Europa schaffen können, die Emissionen bis 2050 auf null zu bringen, ist aus meiner Sicht wahrscheinlich. Dies war vor einigen Jahren noch unvorstellbar. Die grossen Investitionen der vergangenen zwanzig Jahre in die Entwicklung und Verbreitung  von neuen Technologien zahlen sich nun aus.

«Wir wollen dazu beitragen, dem Klimawandel so rasch wie möglich wirksam zu begegnen – damit auch die nächsten Generationen über vielfältige Chancen verfügen.»

Philippe Sarasin
Donator der ETH Foundation

 

ETH Zürich Foundation, Das Netto-Null-Ziel vor Augen
Das Projekt «A quick end to Swiss greenhouse gas emissions» wird massgeblich ermöglicht durch Donationen von Giulio F. Anderheggen, Martin Bisang, Olivier Bizon, Doris Hangartner, Flora Keller, Roger Lienhard, Grégoire Notz, Ron R. Pal, Eric Sarasin, Philippe Sarasin und der Uniscientia Stiftung.
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